Nachruf auf zwei Freunde

Nachruf auf zwei Freunde (September 2020)

 Zwei Freunde sind im September 2020 von uns gegangen. Ich war ihnen sehr verbunden. Beide haben sich sehr für unsere Arbeit in den indischen Dörfern eingesetzt.

Mechtild Jahn

Die Familien Macke und Kämpchen in Boppard waren befreundet und besuchten sich gegenseitig. Alfons war im Gymnasium eine Klasse unter mir und wir hatten auch außerhalb des Unterrichts vielfachen Kontakt. Mechtild spielte Geige, so wie ich, nur sehr viel besser. Fräulein Änne Jöres war unsere Geigenlehrerin; wir beide spielten in ihrem Orchester. Wir probten in dem sogenannten Aufbaugymnasium für Mädchen am Rhein, das Mechtild auch besuchte. Mechtild spielte die erste Geige; ich tummelte mich unter den zweiten Geigen. Auf diese Weise gehört Mechtild eng zu meinen Jugenderinnerungen.

Nach meinem Abitur war ich nie sehr lange in Boppard. Vier Jahre Studium im Wien und Paris, sofort danach Indien. Für Jahrzehnte verlor ich Mechtild aus den Augen. Wie wir wieder zusammenkamen, kann ich nicht erinnern. Mechtild interessierte sich für meine Arbeit unter der indischen Stammesbevölkerung. Sie lebte schon allein in Dietzenbach und hatte von den Programmen in Indien gehört. Dreimal besuchte sie uns als „Freiwillige“. Alle unsere Freiwilligen waren bisher Studenten gewesen, Mechtild war die Älteste und Erfahrenste. Darum konnten wir sie entsprechend wirkungsvoll einsetzen. Dabei denke ich vor allem an ihren Kurs für unsere Lehrer und älteren Schüler – vierzig bis fünfzig junge Männer und Frauen – über die Psychologie der Kinder. Ich besuchte eine Klasse und war überrascht, wie lebensnah und konkret sie ihr Wissen vermitteln konnte.

Bei ihrem letzten Besuch hatte Mechtild ihre Geige mitgebracht und spielte auf unseren Festen, die wir recht häufig feiern. Ich spürte, wie tief Mechtild diese Lebenswelt dieser dörflichen Menschen, ihre natürliche Frische und Freundlichkeit berührte, wie sie mitschwingte in deren Lebensrhythmus und sich aufgenommen fühlte. Mechtild war im Alltag eher nüchtern und sachlich – doch im Gespräch über ihre indischen Dorffreunde spürte ich ihre tiefe Emotionalität. Da erfuhr ich plötzlich höchst seltenen Zuspruch und Verständnis für meine Entscheidung, so viele Jahrzehnte in Indien unter jenen Menschen zu wohnen.

In diesen letzten rund fünfzehn Jahren hatten Mechtild und ich häufig Begegnungen wenn ich sommers in Deutschland weilte. Im Jahr 2005 besuchte ein Team junger Menschen aus unseren Dörfern ihre Schule, sie stellte sogar ihre Wohnung zur Übernachtung zur Verfügung. Auch ich habe einige Male in Dietzenbach übernachtet. Mit Mechtild konnte ich über zwischenmenschliche Probleme sprechen, die ich mit sonst niemandem diskutierte. Sie hörte genau zu, sie überlegte und hatte präzise Vorschläge, oft für mich überraschende.

Bei allen Mitgliederversammlungen unseres „Freundeskreises Ghosaldanga und Bishnubati“ war sie anwesend, führte das Protokoll und diskutierte mit. Ich saß stets neben ihr, um bei den indischen Namen, die ins Protokoll kamen, zu helfen. Bei diesen Versammlungen fiel mir ihr Gerechtigkeitssinn auf. Sie wollte nicht nur jene loben und beachtet wissen, die schon im Licht standen, sondern auch die stillen und weniger auffälligen Menschen. Da hat sie immer wieder Erkenntnisse über menschliche Leistungen gezeigt, die mich erstaunten, weil sie so treffend waren. Dafür war ich stets sehr dankbar.

In den letzten Jahren holte sie mich häufig vom Flughafen Frankfurt ab, wenn ich aus Indien eintraf, und fuhr mich nach Boppard. Ich war so dankbar, dass mich ein Mensch empfing! Kommt man nach einem Jahr zurück nach Deutschland, nach Hause, und niemand erwartet einen, ist so bedrückend. Das hat Mechtild gespürt und stand am Flughafen und erwartete mich! Das wird nicht mehr geschehen.

Wir werden dich vermissen, Mechtild.

 

Dr Rainer Jork

Mit Rainer Jork verliert der Freundeskreis Ghosaldanga und Bishnubati ein besonders engagiertes und liebenswertes Mitglied.

Bald nach der Wende machte er als Mitglied des Bundestages zusammen mit anderen Parlamentariern eine Informationsreise nach Indien. Auf Wunsch des deutschen Generalkonsuls von Kalkutta hielt Martin Kämpchen der Gruppe einen kleinen Vortrag über Indien. Rainer Jork stellte Fragen, unterhielt sich mit Martin im Anschluss der Veranstaltung und blieb mit ihm in Kontakt. Als eine Reisegruppe aus den indischen Dörfern in Deutschland unterwegs war, führte Rainer Jork sie ins Parlament in Bonn und bei einem späteren Besuch ins Parlament in Berlin. Durch ihn lernte unsere Dorfgruppe Berlin kennen und später auch deutschen Wahlkampf, als Rainer Jork sie einen Tag lang mit auf seinen letzten Wahlkampf zum Bundestag mitnahm. Die indischen Freunde waren tief beeindruckt. Sie lernte auch die Familie von Rainer Jork in Radebeul kennen und erlebte die Frauenkirche in Dresden, die damals gerade erst wiedereröffnet worden war.

Nach Eintritt in den Ruhestand besuchte Rainer Jork wieder Indien und verbrachte mehrere Tage in Santiniketan und beobachtete die Arbeit in Ghosaldanga und Bishnubati.

Immer hatte er ermutigende und verständnisvolle Worte für Martin und die indischen Mitarbeiter. Seine Fähigkeit, sogar mit Dorfbewohnern und mit Kindern zu kommunizieren, war erstaunlich. Viele in Ghosaldanga und Bishnubati erinnern sich an den großen, weißhaarigen Mann mit dem freundlichen Gesicht.

Später, als er – nicht mehr ganz gesund – keine längeren Reisen mehr machen konnte, hat er dennoch bis zuletzt die Mitgliederversammlungen des Freundeskreises in Frankfurt besucht. Unsere Dorfarbeit blieb ihm wichtig.

Möge er ruhen in Frieden!

 

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